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Was alle Ärzte über Adipositas wissen sollten

Wir alle wissen, dass Adipositas schädlich ist und dass es schwierig ist abzunehmen. Das ist frustrierend, für Hausärzte und für unsere Patienten. Ich glaube jedoch, dass dies leicht zu vermeiden wäre…

Wirf einfach einen Blick auf die folgende, möglichst verständliche Zusammenfassung der wichtigsten Studien. Ich erwarte zwar nicht, dass ich dich gänzlich umstimmen kann, aber ich hoffe zumindest, dass ich Meinungen herausfordern und einen interessanten Input anbieten kann. Los geht’s…

Hinweis: Einige der folgenden Ideen wurden bereits in meiner Übersicht über die Leitlinien zum Umgang mit Adipositas veröffentlicht1 und in meinen Artikeln im Lancet2 und NEJM3,4. Im April 2024 durfte ich dieses Thema als Keynote beim European Young Family Doctors‘ Movement präsentieren:

1. Warum ist Adipositas-Management frustrierend? Weil wir die Evidenz oftmals ignorieren.

Mein Zugang zu diesem Artikel ist dabei recht simpel. Ich habe einfach versucht, die wichtigsten klinischen Fragen mit der besten verfügbaren Evidenz zu beantworten. Es gibt zwar Tausende von Studien zum Thema Adipositas, aber ich wollte nur die aussagekräftigsten Studien auswählen, indem ich folgende Prioritäten setzte:

  • Systematische Übersichtsarbeiten statt Einzelstudien (um „Rosinenpickerei“ zu vermeiden).
  • Interventionsstudien statt Beobachtungsstudien (zur Beurteilung der Kausalität).
  • Langfristige Studien statt kurzfristigen Studien (um relevanter zu sein).
  • Klinische Endpunkte statt „intermediate outcomes“ (um klinisch relevant zu sein).

Mit anderen Worten, anstatt einige Studien zu zitieren, die bestätigen, was ich bereits glaube, zeige ich dir einfach alle wichtigen Studien, damit du dir selbst ein Bild machen kannst (wirklich alle; wenn ich eine sehr wichtige vergessen habe, schreib mir bitte ein E-Mail). Interessant ist, dass die Ergebnisse dieser Studien ziemlich klar zeigen, dass unser „normales“ Adipositas-Management falsch liegt

2. Was verursacht Adipositas? Nicht das, was unser Hausverstand denkt.

Ist Adipositas auf mangelnde Willenskraft (oder gar mangelnde Intelligenz) zurückzuführen?

Um ehrlich zu sein, weiß ich, dass viele (die meisten?) meiner medizinischen Kollegen glauben, dass das hier die Ursache der „Adipositas-Epidemie“ ist:

Es ist ziemlich klar, dass mangelnde Intelligenz den Anstieg von Adipositas nicht erklären kann. Warum nicht? Werfen wir einen Blick auf die folgende Grafik, die zeigt, dass die Intelligenz im letzten Jahrhundert stark zugenommen hat, was als „Flynn-Effekt“ bezeichnet wird:

Kann Willenskraft den Anstieg der Fettleibigkeit erklären? Nein. Warum nicht? Sieh dir einfach die folgende Grafik an und frage dich selbst:

  • Wie könnte Willenskraft den plötzlichen Anstieg von Adipositas Mitte der 1970er Jahre in den USA erklären?
  • Wie könnte die Willenskraft bei beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen gleichzeitig abgenommen haben?

Auf diese Fragen gibt es wohl keine guten Antworten. Es scheint viel plausibler zu sein, dass (plötzliche und landesweite!) Veränderungen der Nahrungsmittelindustrie wie die US-Agrargesetze der 1970er Jahre (die die Produktion, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von energiedichten Lebensmitteln erhöhten) zum Anstieg von Adipositas geführt haben.5

Wird Adipositas durch „schlechte“ Gene verursacht?

Das kommt darauf an. Da sich der Genpool kaum verändert, kann dies auch nicht den bereits erwähnten Anstieg von Adipositas in den USA erklären. Die folgende (bemerkenswerte!) Grafik deutet jedoch darauf hin, dass Gene weitgehend erklären können, warum manche Menschen adipös sind und andere nicht:

Die zugrunde liegende Studie6 basiert auf 290.000 Teilnehmern der UK Biobank und inkludiert 2,1 Millionen unterschiedliche Genvarianten. Diese Studie zeigt, dass „schlechte“ verglichen mit „guten“ Genen die Wahrscheinlichkeit für schwere Adipositas um das 25-fache (!) und für Adipositas um das 4-fache erhöhen sowie das Durchschnittsgewicht um 13 kg steigern. Trotz dieser starken Assoziationen sind Gene jedoch nicht „schicksalhaft“, denn 17% der Personen mit den ungünstigsten Genen haben immer noch ein normales Gewicht und die meisten davon (56%) sind nicht adipös. Der Lebensstil ist immer noch wichtig, aber definitiv nicht alles.

Darüber hinaus kam ein aktueller Review im Journal Obesity7 zu dem Schluss, dass sogar 70%-80% der Gewichtsvarianz genetisch bedingt sein könnte (laut Zwillingsstudien, während Adoptionsstudien und Studien zu Kernfamilien niedrigere Werte ergaben; ein anderer Review8 kam zu ähnlichen Ergebnissen). Der größte Teil dieses genetischen Risikos ist auf viele verschiedene Gene verteilt, denn bis 2020 wurden mehr als 1.100 Genloci für Adipositas identifiziert.9 Aber auch einzelne Gene können relevant sein, wie das FTO-Gen, das das Hormon Ghrelin und damit das Hungergefühl reguliert. Varianten dieses Gens kommen bei einem von sechs europäischen Männern vor und erhöhen das Adipositasrisiko um 70%.10

Hier möchte ich auch eine andere Ursache von Adipositas erwähnen, die ebenfalls (grundsätzlich) außerhalb unserer Kontrolle liegt: das Darm-Mikrobiom. Im Jahr 2023 kam ein Nature Review zu dem Schluss, dass „wir jetzt verstehen, dass die Darmbakterien den Energiehaushalt erheblich beeinflussen, durch verschiedene Mechanismen“11 und ein anderer Review erklärte, dass „die Darmbakterien direkte Auswirkungen auf die Verdauung, die Absorption und den Stoffwechsel der Nahrung haben und das Körpergewicht beeinflussen, indem sie den Stoffwechsel, den Appetit, den Gallensäurestoffwechsel sowie das Hormon- und Immunsystem modulieren“.12.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das „adipogene Umfeld“ das Durchschnittsgewicht einer Gesellschaft steigert und damit die „Adipositas-Epidemie“ erklären kann. Aber Gene und Darmbakterien bestimmen weitgehend, ob das Gewicht eines Individuums über oder unter dem Durchschnitt liegt. Wie Philip F. Smith (NIH) so schön sagte, „Adipositas ist zu 80% genetisch und zu 100% umweltbedingt“. Das ist mMn der Schlüssel zum Verständnis der Ursachen von Adipositas.

3. Wie soll man Adipositas behandeln? Die meisten Hausärzte wenden leider unwirksame Interventionen an und vernachlässigen wirksame.

Abnehmen durch weniger Essen. Oder nicht?

Wenn der erste Hauptsatz der Thermodynamik immer noch stimmt, dann kann niemand zunehmen, ohne mehr zu essen als zu verbrauchen. Kalorien rein, Kalorien raus. Das sagt die Physik. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Empfehlung „weniger essen und mehr bewegen“ eine wirksame Empfehlung zur Gewichtsabnahme wäre! Warum nicht? Es ist einfach nicht so logisch (und weder praktisch noch evidenzbasiert), wie es auf den ersten Blick scheint…

Rechnen wir einfach mal nach. Jemand hat 20 kg Übergewicht. Er hat dieses Gewicht in den letzten 20 Jahren zugenommen. Wie viel hat er im Durchschnitt pro Tag zu viel gegessen?

  • 1 kg Körperfett hat 7.700 kcal
  • 20 kg Körperfett haben 154.000 kcal
  • Um in 20 Jahren (7.305 Tagen) 20 kg Körperfett zuzulegen, muss man täglich nur 21 kcal zu viel essen!

Kannst du deine heutige Kalorienbilanz mit einer Genauigkeit von 21 kcal abschätzen? Oder von 210 kcal? Wenn du das nicht kannst, dann ist „eine negative Energiebilanz“ wohl auch für deine Patienten kein praktikabler Ansatz. Um seine „Energiebilanz“ zu berechnen, muss man außerdem noch den eigenen Energieverbrauch ganz genau kennen. Ich habe meine eigenen Daten in die Online-Kalorienrechner des NIH13 und der Mayo-Klinik14 eingegeben. Dabei erhielt ich komplett unterschiedliche Ergebnisse (ein Unterschied von 725 kcal pro Tag, der hypothetisch zu einer Gewichtszunahme oder -abnahme von 35 kg (!) pro Jahr führen würde):

Auf der anderen Seite der „Energiebilanz“-Gleichung steht die persönliche Energieaufnahme. Auch diese müsste man ganz genau kennen. Hier sind einige Vergleiche, die die meisten von uns wahrscheinlich falsch einschätzen:

Quellen: Cartergood15(von Applebee’s) und movingdietitian16

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man zwar nicht zunehmen kann, ohne zu viel zu essen, aber eine „negative Energiebilanz“ ist keine praktikable Empfehlung für Patienten. Selbst die besten Schätzungen der Energiezufuhr und des Energieverbrauchs sind einfach viel zu ungenau, um nützlich zu sein.

Wie kann man also nachweislich abnehmen?

Sind Maßnahmen zur Gewichtsabnahme in der Primärversorgung wirksam? Ja, falls man mit kurzfristigen Erfolgen zufrieden ist. Ein aktueller Review im BMJ (2022)17 umfasste 34 Studien in der Primärversorgung mit ziemlich intensiven Interventionen (jeder Patient erhielt im Median 12 Lebensstil-Einheiten). Nach einem Jahr hatten die Patienten im Durchschnitt 2,3 kg abgenommen, nach zwei Jahren blieben noch 1,8 kg. Einen längeren Beobachtungszeitraum gab es nicht. Aber wie sieht es mit Studien zur langfristigen Gewichtsabnahme aus, da es oftmals zum berühmten Jo-Jo Effekt kommt? Meine eigene Literaturrecherche hat nur drei (!) Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens drei Jahren gefunden. Wenn du eine weitere derartige Studie kennst, kontaktiere mich bitte (in den zehn Jahren, in denen ich dieses Thema unterrichte, wurde mir noch keine weitere Studie bekanntgegeben). Hier sind diese Studien in einer Grafik zusammengefasst:

Während sich nach einem Jahr relevante Effekte zeigten, ist der Gewichtsverlust nach fünf Jahren (2-5 kg) nur bescheiden. Manche halten diese kleinen Effekte für klinisch relevant, andere nicht. Bedenke jedoch, dass diese geringen Effekte durch sehr intensive und kontinuierliche Lebensstilinterventionen erreicht wurden (>jeweils 120 Lebensstil-Sitzungen in der Lancet-Studie und der Adipositas-Studie), die Patienten im wirklichen Leben normalerweise nicht erhalten können.

Wahrscheinlich kennst du jedoch einen Patienten, der seinen Gewichtsverlust langfristig beibehalten konnte. Ja, für manche Menschen ist das möglich. Die Adipositas-Studie 201418 zeigte, dass von denjenigen, die im ersten Jahr ≥10% ihres Gewichts verloren hatten, fast 40% in der Lage waren, ihren Gewichtsverlust von etwa 15% bis zum achten Jahr zu halten. Aber andere haben danach sogar zugenommen. Im Durchschnitt verloren die Teilnehmer weniger als 5 kg.

=> Wären intensive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme ein Medikament, würden sie wahrscheinlich keine FDA/EMA-Zulassung erhalten (wegen des Mangels an klinisch signifikanter, langfristiger Wirksamkeit).

Warum ist eine langfristige Gewichtsabnahme so schwer zu halten? Ein Grund dafür ist die hormonelle Gegenregulation. Ein Jahr nach einer Gewichtsabnahme sind die Werte von Leptin, Peptid YY, Cholecystokinin, Insulin, Ghrelin, glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid und pankreatisches Polypeptid immer noch deutlich verändert, was zu einem kontinuierlich verstärkten Hungergefühl und damit zu einer kontinuierlichen Gewichtszunahme führt. Mit anderen Worten: Unser Körper versucht hartnäckig sein Zielgewicht zu erreichen.19 Andere Gründe sind, dass unsere Willenskraft begrenzt ist (vor allem auf lange Sicht) und dass Gene, Darmbakterien und die adipogene Umgebung – die zuvor zur Adipositas geführt haben – weiterhin ihren Einfluss ausüben.

Was empfehlen Leitlinien zur Behandlung von Adipositas?

Vor einigen Jahren habe ich einen Systematic Review über evidenzbasierte Guidelines erstellt1 um diese Frage zu beantworten. Interessanterweise haben wir einen klaren Konsensus zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas in der Primärversorgung festgestellt. Laut Leitlinien sollen Patienten an einem multidisziplinären Lebensstilprogramm teilnehmen, das weniger essen, mehr Sport und Verhaltensänderungen beinhaltet. Pharmakologische Maßnahmen (bevor GLP-1-Rezeptor-Agonisten aufkamen) wurden nur zusätzlich zu einem Lebensstilprogramm empfohlen und eine bariatrische Operation nur dann, wenn alle nicht-chirurgischen Interventionen versagt haben. Ich bin zwar den Experten dankbar, die diese umfassenden Leitlinien entwickelt haben, aber ich bin skeptisch, dass diese langfristig gesehen wirksam sind. Außerdem glaube ich, dass es einen viel besseren Ansatz als „weniger essen, mehr Sport“ gibt (siehe „Schlussfolgerung“ unten).

Welche Rolle spielen die neuen Medikamente zur Gewichtsabnahme, die GLP-1-Rezeptor-Agonisten?

Dazu gibt es viel zu sagen! Deshalb habe ich einen eigenen Blogartikel darüber geschrieben: Die wichtigsten Fakten, die Hausärzte über GLP-1-Agonisten wissen sollten.

4. Wie schädlich ist Adipositas? Adipositas selbst ist weniger schädlich, unsere ärztliche Einstellung ist jedoch oftmals schädlicher, als wir denken.

Wie schädlich ist Fettleibigkeit eigentlich?

Die besten systematischen Übersichtsarbeiten zeigen, dass Adipositas schädlich ist, aber wahrscheinlich weniger als du denkst. Die untenstehende Grafik zeigt, dass zwei große Systematic Reviews übereinstimmend zu dem Schluss kommen, dass Adipositas Grad 1, 2 und 3 mit einer um 45%, 90% und 160% erhöhten Sterblichkeit verbunden ist. Ein anderer großer Systematic Review zeigt jedoch sogar ein leicht reduziertes (!) Sterberisiko für Übergewicht und Adipositas Grad 1. Was sind die Ursachen für diese Unterschiede? Alle Untersuchungen wurden von weltweit führenden Epidemiologen durchgeführt, aber ihre methodischen Entscheidungen darüber, wie die Daten zu analysieren sind, waren einfach unterschiedlich (wenn du an Forschungsmethoden interessiert bist, kann ich empfehlen tiefer in diese Debatte einzutauchen, indem du die veröffentlichte Correspondence zu ihren Artikeln liest).

Wie gefährlich ist Adipositas im Vergleich zum Rauchen? Selbst wenn wir die konservativeren Schätzungen der JAMA-Studie außer Acht lassen, ist nur die Sterblichkeitsrate bei einem BMI>40 (+160%) vergleichbar mit dem Rauchen von ≥25 Zigaretten pro Tag (+161%, laut der 50-jährigen Beobachtung der British Doctors Study20 die auch zeigte, dass Raucher 10 Jahre früher sterben, aber dass diejenigen, die bis zum Alter von 40 Jahren aufhören, 9 dieser Jahre zurückgewinnen!).

Wie relevant sind hier Vorurteile und Stigmatisierung?

Ein Review kam zu dem Schluss, dass „viele Ärzte starke negative Einstellungen und Klischeebilder über Menschen mit Adipositas haben“.21 Ein anderer Review bestätigte (bei gleichzeitiger Kritik an der Gesamtqualität der Evidenz) einen impliziten und expliziten Gewichts-Bias.22 Dies kann zu einer schlechteren Diagnose und Behandlung und damit zu Misstrauen gegenüber Ärzten, Vermeidung von Behandlungen und mangelnder Compliance führen. Außerdem verinnerlichen viele adipöse Patienten solche Einstellungen und werten sich selbst ab, was zu negativen Folgen für die psychische Gesundheit führen kann.23 Ich stimme daher mit Partha Kar (Diabetes Co-Leiter des NHS England) überein, dass „Body Shaming“ zwar üblich, aber nicht akzeptabel ist.24

5. Was ist also meine Schlussfolgerung? Wir könnten effektiver, weniger schädigend und weniger frustriert sein.

Zusammenfassung

  • Der Anstieg von Adipositas ist weder auf mangelnde Intelligenz noch auf mangelnde Willenskraft zurückzuführen.
  • Der Anstieg von Adipositas ist (wahrscheinlich) auf ein adipogenes Umfeld zurückzuführen, das ungesunde Lebensmittel fördert.
  • Auch wenn Genetik und Darmbakterien die „Adipositas-Epidemie“ nicht verursacht haben, sind sie ein entscheidender individueller Risikofaktor für Adipositas (aber Gene sind kein Schicksal).
  • Zwar kann niemand ohne eine positive Energiebilanz Gewicht zunehmen, aber Patienten eine negative Energiebilanz zu empfehlen, ist kein praktikabler oder wirksamer Ratschlag.
  • Studien zur Gewichtsabnahme zeigen, dass selbst sehr intensive und kontinuierliche Lebensstilinterventionen nach fünf Jahren kaum noch wirksam sind.
  • Die Aufrechterhaltung der Gewichtsabnahme ist schwierig, weil Willenskraft begrenzt ist und weil Gene, Darmbakterien und die adipogene Umgebung immer noch ihren Einfluss ausüben.
  • Internationale Leitlinien zur Behandlung von Adipositas sind sich einig, dass eine negative Energiebilanz der wichtigste Ansatz wäre (aber ich bin anderer Meinung, aufgrund der oben genannten Evidenz).
  • Adipositas ist weniger schädlich, als du vermutlich denkst, aber zumindest ein BMI >40 ist vergleichbar mit dem Rauchen von ≥25 Zigaretten pro Tag.
  • Gewichts-Bias und Stigmatisierung untergraben das Vertrauen in Ärzte und schaden den Patienten physisch und psychisch.

Was ist meine Schlussfolgerung?

Man könnte nun erwarten, dass meine Schlussfolgerung pessimistisch wäre. Immerhin sind Gene wichtig und eine langfristige Gewichtsabnahme ist schwierig. Aber ganz im Gegenteil, ich bin sehr optimistisch, denn vieles kann deutlich verbessert werden:

  • Heute empfehlen die meisten Ärzte ihren Patienten, „einfach weniger zu essen“ und „einfach abzunehmen“. Das funktioniert nicht (und du weißt das wahrscheinlich).
  • Heute versuchen die meisten adipösen Patienten zumindest einmal „weniger zu essen und abzunehmen“. Dann nehmen sie wieder zu, sind oft enttäuscht und geben auf.
  • Heute schämen sich die meisten adipösen Patienten für ihren Körper. Viele Ärzte fördern dieses negative Selbstbild.
  • Was wäre, wenn wir die Evidenz ernst nehmen und aufhören, einen Ansatz (negative Energiebilanz) zu empfehlen, der nicht funktioniert (basierend auf Langzeitstudien, trotz sehr intensiver und kontinuierlicher Lebensstilinterventionen)?
  • Was wäre, wenn wir die Evidenz ernst nehmen und einfach eine köstliche mediterrane Ernährung empfehlen, die bei primärer25 und sekundärer26 kardiovaskulärer Prävention (ca. 30% und 26% weniger schwere kardiovaskuläre Ereignisse) und möglicherweise bei Depressionen27 wirksam ist? Diese kann unabhängig vom Gewicht empfohlen werden, „nur“ um Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern (ohne dabei zu Frustration zu führen).
  • Was wäre, wenn wir die Evidenz ernst nehmen und aufhören, den Patienten die Schuld für eine Krankheit zu geben, die hauptsächlich durch unglückliche Gene und Darmbakterien (und nicht durch Dummheit oder Faulheit) verursacht wird? Vielleicht bist du hier anderer Meinung, aber wissenschaftliche Reviews7,8,11,12 unterstützen diese Aussagen.
  • Was wäre, wenn wir die Evidenz ernst nehmen und beginnen, unsere adipogene Umwelt zu verändern? Schulbuffets voller Fast Food und Supermärkte voller billiger Kalorien sind keine unveränderlichen Naturgesetze. „Die gesunde Wahl zur leichten Wahl machen“ würde die eigentlichen Ursachen der Adipositas-Epidemie bekämpfen, anstatt nur adipösen Patienten die Schuld zu geben.
 Schlechte Medizin
(meinungsbasiert)
Gute Medizin
(evidenzbasiert)
UrsachenGenetik ignorierenGenetik akzeptieren
Lebensmittelqualität ignorierenEssgewohnheiten erheben
LösungenWeniger essen, abnehmen!Gesund essen!
EinstellungVorwürfe…Motivation…

Meine Schlussfolgerung: Empfehlen wir unseren Patienten einfach einen gesunden Lebensstil (mediterrane Ernährung und körperliche Aktivität). Nicht, um abzunehmen und dadurch frustriert zu werden, sondern um ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Außerdem sollten wir aufhören, adipösen Patienten die Schuld für eine krankmachendes Nahrungsmittelsystem zu geben.

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