Am 22. September forderte Donald Trump schwangere Frauen auf, „wie verrückt zu kämpfen um kein Tylenol/Paracetamol einzunehmen“. Dieser Artikel fasst die aktuellen Empfehlungen zusammen, bewertet die wichtigsten Studien und bietet Hintergrundwissen für die Beratung von Patienten zum Thema Paracetamol in der Schwangerschaft. Los geht’s.
Was empfehlen die Gesundheitsbehörden?
- 22. September, FDA: „Ein kausaler Zusammenhang wurde nicht festgestellt“.
- 23. September, EMA: „Paracetamol bleibt eine wichtige Option zur Behandlung von Schmerzen oder Fieber in der Schwangerschaft“.
- 24. September, WHO: „Die Forschung hat keinen konsistenten Zusammenhang gefunden“.
Was sagt die Evidenz?
Trump erklärte: “Tylenol in der Schwangerschaft kann mit einem sehr stark erhöhten Autismusrisiko verbunden sein. Tylenol zu nehmen ist also nicht gut. Okay, ich sage es: es ist nicht gut.“ Seine Kritiker widersprechen ihm. Hier sind die Publikationen, die diese Debatte prägen.
Trump wird vor allem von drei Arbeiten unterstützt:
- 2018: Eine systematische Übersichtsarbeit zeigte ein um 19 % erhöhtes Risiko für Autismus bei Kindern, wenn Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen wurde.
- 2021: 91 Experten unterzeichneten eine Konsenserklärung in einem Nature Journal die zu „vorsorglichem Handeln“ aufrief.
- August 2025: Andrea Baccarelli, Dekan der Harvard School of Public Health, veröffentlichte eine Navigation-Guide Studie, die in 27 von 46 eingeschlossenen Studien eine Assoziation fand.
Kritiker verweisen oft auf diese beiden Geschwister-Analysen:
Wer hat Recht?
- Die aktuelle Evidenz kann keine Kausalität beweisen. Kleine kausale Effekte lassen sich mit Beobachtungsstudien ohnehin kaum nachweisen – dafür bräuchte es sehr große, langfristige RCTs, die niemand finanziert. Absolute Gewissheit ist wissenschaftlich nicht erreichbar.
- Das stärkste Argument der Kritiker: Kleine Effekte verschwinden in besseren Studien. Die beobachteten Zusammenhänge seien vor allem durch nicht kontrollierte Störfaktoren (Confounder) erklärbar. Geschwisteranalysen, die solche Faktoren reduzieren, zeigten keine Assoziation – ein starkes Argument gegen Kausalität.
- Das Gegenargument: die schwedische Studie könnte falsch-negativ sein. Denn sie gab nur 7,5 % Paracetamol-Gebrauch in der Schwangerschaft an – deutlich weniger als die zuvor in Schweden berichteten 56–63 %. Diese Diskrepanz könnte die statistische Power verringert und ein eigentlich vorhandenes Signal übersehen haben.
- Baccarellis Studie wird stark kritisiert. Sie habe das GRADE-System fehlerhaft angewendet, heterogene Studien zusammengefasst, Geschwisteranalysen zu Unrecht abgewertet, weil sie zu wenig statistische Power hätten, und ein „Navigation Guide“-Verfahren genutzt, das bisher kaum etabliert ist (in PubMed fand ich nur 16 solcher Arbeiten). Weiters räumen die Autoren zwar ein, dass „Beobachtungsstudien keine Kausalität beweisen können“, empfehlen aber dennoch „sofortige Maßnahmen“.
- Auch Baccarelli persönlich wird kritisiert. Laut New York Times beriet er Trumps Gesundheitsberater vor der Pressekonferenz und erhielt mindestens 150.000 US-Dollar als Gutachter in Klagen gegen den Hersteller von Acetaminophen. Die Klagen wurden später abgewiesen – der Richter bezeichnete Baccarellis Gutachten als „selektiv und irreführend“ und daher „nicht verlässlich“.
Was können wir aus dieser Debatte lernen?
- Wissenschaft ist sich nie absolut sicher. In der Bevölkerung entsteht Vertrauen in die Wissenschaft, wenn man als Wissenschaftler ehrlich kommuniziert. Sowohl Trump als auch einige seiner Kritiker (die eine Kausalität kategorisch ausschließen) haben in ihrer Kommunikation deshalb – aus meiner Sicht – übertrieben.
- Seltene Ereignisse sind methodisch kaum beweisbar. Dafür bräuchte man ausgesprochen große, sehr teure RCTs – die es nicht geben wird.
- Relative Risiken täuschen. Selbst wenn ein Zusammenhang vorhanden wäre: Wie häufig ist er? Ein relatives Risiko von +10 % klingt beunruhigend, aber bei einer Autismus-Prävalenz von etwa 1 % (Europa) bedeutet das ein absolutes Risiko von 0,1 % – also NNH=1.000. Dasselbe Risiko, nur anders kommuniziert.
- Trumps Team stellte die falschen Fragen. Die Frage lautet nicht nur: „Verursacht Paracetamol Autismus?“, sondern auch: „Was passiert, wenn Fieber unbehandelt bleibt?“ NSARs werden nach der 20. Schwangerschaftswoche nicht empfohlen und können das Risiko einer Fehlgeburt geringfügig erhöhen, auch wenn dieser Zusammenhang statistisch nicht signifikant ist. Paracetamol ist daher das etablierte Mittel gegen Fieber und Schmerzen in der Schwangerschaft – und unbehandeltes Fieber im ersten Trimenon ist laut diesen Systematic Reviews auch schädlich:
- Neuralrohrdefekte wie Spina bifida oder Anenzephalie (OR 1,9; 95 %-KI 1,6–2,3); absolutes Risiko +0,34 %.
- Angeborene Herzfehler (OR 1,5; 95 %-KI 1,4–1,7).
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (OR 1,9; 95 %-KI 1,4–2,8).
- Autismus (OR 1,2; 95 %-KI 1,0–1,3).
- Berühmtheit ist kein Qualitätskriterium. Baccarellis Position als Harvard-Dekan mag politisch Gewicht haben – wissenschaftlich zählt sie nicht. Entscheidender sind methodische Qualität und gegebenenfalls auch Interessenskonflikte.
Was sollten wir Schwangeren sagen?
- Zum möglichen Autismus-Risiko: Einige Studien zeigen einen kleinen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus, die besten Studien mit Geschwistervergleichen bestätigen diesen jedoch nicht. Und selbst wenn ein Effekt bestehen sollte, dann wäre er sehr klein.
- Zum Fieber-Risiko: Hohes, unbehandeltes Fieber – besonders im ersten Schwangerschaftsdrittel – ist mit Fehlbildungen wie Neuralrohr- oder Herzdefekten assoziiert. Daher empfehlen WHO, EMA und FDA weiterhin, Fieber in der Schwangerschaft mit Paracetamol zu behandeln.
- Praktische Empfehlung: Paracetamol bleibt laut internationalen Gesundheitsbehörden eine wichtige Behandlungsoption für Schmerzen und Fieber in der Schwangerschaft. Eine niedrige Dosis und kurze Dauer erscheinen plausibel.
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